Margarete Aurin

War am Fröbelseminar in Eisleben ausgebildete Kindergärtnerin und suchte dennoch nach neuen  Erziehungs- und Lehrmaterialien. So wurde sie auf die neuen Erziehungsideen von Maria Montessori aufmerksam und besuchte 1932 in Barcelona den von Montessori selbst geleiteten Ausbildungskurs für "Selbständige Erziehung im Kindesalter" (Kindergarten und Grundschule). Diese Begegnung und die in Spanien begonnene Freundschaft prägten das weitere Leben Frau Aurins.

Im Herbst 1933 gründete sie ihren Kindergarten in Nordhausen, Thüringen, der nicht in das politische Denken dieser Zeit passte. Sie konnte ihn trotzdem bewahren, bis sie sich im März 1953 durch Flucht in den Westen vor der bevorstehenden Verhaftung durch das SED-Regime retten musste.

1968 wurde sie von Prof. Dr. Hellbrügge gewonnen, mit ihm einen Modellversuch zur Förderung von mehrfach und verschiedenartig behinderten Kindern sowie deren Integration in den Unterricht der nichtbehinderten Kinder aufzubauen. Im Alter von 73 Jahren führte sie den ersten AMI-Ausbildungskurs durch und gründete gleichzeitig in München, Güllstr. ein Modell-Kinderhaus, in dem erstmals behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam lebten, lernten und spielten.

Frau Aurin baute ein Modellkinderhaus auf, in dem alles absolut stimmig sein sollte.
In diese Zeit fielen viele intensive Diskussionen um die Anwendung der klassischen Lehre und die Möglichkeiten der uns anvertrauten Kinder. Ein Beispiel:

 

Die Samen
Materialbeschreibung:

Ein Tablett
einige Schälchen
Samenkörner z.B. Sonnenblumenkerne, Erbsen, Reis, Johannisbrotkerne

Darbietung:

Die verschiedenen Samenformen werden gemeinsam betrachtet. Man nimmt mit den Fingerspitzen der rechten Hand ein Samenkorn, befühlt es genau, gibt es in die Fingerspitzen der linken Hand, befühlt nochmals genau und gibt es dem Kind zwischen die Fingerspitzen der rechten Hand. Es fühlt, dem Vorbild entsprechend ......

Ziel:

Verfeinerung des stereognostischen Sinns
Aufbau der Vorstellungskraft
Schulung des Ordnungssinns

 

Wir versuchten die Anweisungen bestmöglich einzuhalten und hatten viele Kinder, die diese Samen weder ergreifen, noch zwischen den Fingerspitzen halten, noch unterscheiden konnten. Sollen wir auf diese Übung verzichten? Was ist, wenn das Kind diese Erfahrung nicht machen kann? Gibt es andere Möglichkeiten? Dürfen stattdessen andere Materialien verwendet werden, z.B. Nüsse? Nüsse sind Samen, aber erreichen wir damit auch das Ziel: Verfeinerung des stereognostischen Sinns (besonders in den Fingerspitzen)? Wie müssen Schälchen beschaffen sein, dass die Kinder die Nüsse auch ablegen können?

Dürfen zwei Übungen, die das gleiche Ziel verfolgen, gleichzeitig im Gruppenraum bereit gestellt werden? Was soll geschehen, wenn nichtbehinderte Kinder die Nüsse verwenden und die Samen links liegen lassen?

Nach und nach gewannen wir Sicherheit, jeder misslungene Versuch brachte neue Ideen, einen Anfang.

Frau Aurin leistete zu dieser Zeit immenses: sie baute am Kinderzentrum München dieses Modell- Kinderhaus auf, sie führte gleichzeitig AMI-Ausbildungskurse durch um geeignete PädagogInnen auszubilden, half mit Rat und Tat bei unzähligen Fragen und führte nebenher ihr eigenes Kinderhaus in Garmisch-Partenkirchen.

 

In einem Vortrag berichtet sie über „Das erste Montessori-Kinderhaus mit integrierter Erziehung in München“

Erfahrung bei den Kindern

…. „ich möchte zusammenfassen: Das Konzept der integrierten Erziehung in kleinen Gruppen – ungefähr zwanzig Kinder, etwa 25 % davon behindert – bewährt sich.

Die Erfahrungen bei den mehrfach und verschiedenartig behinderten Kindern und gesunden zeigen, dass die Montessori-Pädagogik hier wichtige pädagogische und methodische Hilfen zu geben vermag. Darüber hinaus enthält das Material eine therapeutische Funktion für das behinderte Kind.

Bei gesunden Kindern entwickelten sich soziale Eigenschaften, wie sie Montessori folgendermaßen beschrieben hat: > Geduld, eine Hemmung der eigenen Impulse; Begriff des Respektierens; Begriff des Wartens; Hilfsbereitschaft, auch von Kindern aus dosiert; Anpassung, notwendig zum Aufbau des gesellschaftlichen Lebens; Liebe, denn erst durch diese findet das Kind zur Selbstverwirklichung .< *

Bei allen Kindern wuchs das Selbständigkeitsverhalten und das Selbstvertrauen; ihre geistig-seelische Entwicklung wurde allgemein gefördert.

Montessoris Erkenntnis hat sich erneut bewahrheitet: > das Beispiel einer Gesellschaft, in der die soziale Integration besteht, ist die Gesellschaft der kleinen Kinder, die von den geheimnisvollen Kräften der Natur geleitet sind. < **

 

* Maria Montessori: Das kreative Kind, Freiburg 1972 S. 201
** Maria Montessori : siehe oben S. 211
(Entnommen: Montessori-Pädagogik und das behinderte Kind, Kindler, S. 294)